Welche Richtlinienverfahren gibt es?

28.04.2021 5 Minuten Lesezeit

Derzeit werden vier Therapierichtungen als sogenannte Richtlinienverfahren zur Behandlung von psychischen Erkrankungen angewandt.

Welche Richtlinienverfahren gibt es?

Angststörungen sind durch eine Psychotherapie gut behandelbar. Derzeit werden vier Therapierichtungen als sogenannte Richtlinienverfahren zur Behandlung von psychischen Erkrankungen angewandt. Richtlinienverfahren heißen sie deshalb, weil sie wissenschaftlich anerkannt sind, ihre Qualität geprüft wurde und sie medizinisch notwendig sind. Somit werden die Kosten für eine Psychotherapie bei einer psychischen Erkrankung von den Krankenkassen getragen.

Welche Richtlinienverfahren gibt es?

Bei den vier Richtlinienverfahren handelt es sich um:

  • die analytische Psychotherapie
  • die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
  • Verhaltenstherapie
  • die systemische Therapie

Analytische Psychotherapie

Die Analytische Psychotherapie (AP) ist das älteste Therapieverfahren und hat sich aus der Psychoanalyse heraus weiterentwickelt. Die meisten von uns haben schon einmal von ihrem Begründer Sigmund Freud gehört.

Laut der Analytischen Psychotherapie werden psychische Erkrankungen durch innere Konflikte, die in den ersten Lebensjahren entstanden sind, verursacht. Da die damit verbundenen Gefühle und Erinnerungen so schmerzhaft waren, wurden sie zum Schutz von unserer Psyche in unser Unterbewusstes verdrängt. Wir haben also bewusst gar keinen Zugang dazu, obwohl sie weiterhin beeinflussen wie wir fühlen, denken und handeln. Sie können so einer gesunden psychischen Entwicklung im Wege stehen.

Bei der Behandlung einer Angsterkrankung wird der innere Konflikt aus der Vergangenheit, der jetzt in der Gegenwart Ängste hervorruft, identifiziert. Dazu sollen wir möglichst frei alles, was uns durch den Kopf geht, aussprechen, ohne es zu beurteilen oder zu bewerten. Verdrängte Gefühle und Erinnerungen sollen so zurück ins Bewusstsein gelangen und noch einmal durchlebt werden. Ziel ist es, den Konflikt und die Angst durch ein tiefes Verständnis für uns selbst aufzulösen. Die Therapeut:in bietet sich dabei als eine neutrale Projektionsfläche an. Um unseren Prozess nicht zu beeinflussen, sagt sie:er meist sehr wenig und hilft nur gelegentlich Gedankengänge zu interpretieren. Deshalb sitzt die Therapeut:in in der klassischen AP auch außer Sichtweite hinter uns während wir liegen.

Eine Analytische Psychotherapie ist eine sehr intensive Langzeittherapie und findet meist 2-3 mal die Woche statt und erstreckt sich über mehrere Jahre (160 – 300 Sitzungen).

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wird auch oft Tiefenpsychologie, kurz TP genannt. Genau wie die Analytische Psychotherapie hat sich auch die Tiefenpsychologie aus der Psychoanalyse heraus entwickelt und sieht die Ursache für eine psychische Erkrankung in inneren Konflikten aus der Vergangenheit.

Bei der Behandlung von Angststörungen wird auf Ursachenforschung gegangen, damit wir vergangene innere Konflikte aufdecken und ein tiefes emotionales Verständnis für unsere Ängste entwickeln können. Anders jedoch als bei der Analytischen Psychotherapie ist bei der Tiefenpsychologie das Behandlungsziel klar definiert. Darüber hinaus wird die Funktion, die die Angst in der Gegenwart erfüllt, mehr in den Mittelpunkt gestellt und daran gearbeitet, einen besseren Umgang damit zu finden. Die Therapeut:in sitzt uns zudem in den Gesprächen gegenüber.

Die Behandlungsdauer ist ingesamt etwas weniger intensiv, ca. 1-2 mal die Woche für ingesamt 25 bis 100 Sitzungen.

Verhaltenstherapie

Die Annahme der Verhaltenstherapie (VT) basiert darauf, dass psychische Erkrankungen durch ungünstige Lernerfahrungen zu Stande kommen. Wir haben also ein problematisches Verhalten erlernt, das in Kombination mit belastenden Erfahrungen eine psychische Erkrankung auslösen kann. In der Therapie geht es darum, diese problematischen Verhaltensweisen wieder zu verlernen und nützlichere Verhaltensweisen neu zu erlernen. Eine Erweiterung der Verhaltenstherapie ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), hierbei wird über die Verhaltensebene hinaus ein Fokus auf unsere Wahrnehmung und unser Denken (die Kognition) gelegt. Wir lernen Wahrnehmungen, sowie Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und unserer aktuellen Lebenssituation anzupassen.

Angststörungen werden üblicherweise mit einer Konfrontationstherapie (auch Expositionstherapie genannt) behandelt. Ziel ist es, unsere Angst aufzulösen, indem wir uns wiederholt angstauslösenden Situationen und Körpersymptomen stellen (= uns konfrontieren). Dadurch gewöhnt sich unser Angstzentrum daran und lernt, dass keine Gefahr besteht.

Eine VT/KVT findet in der Regel 1x wöchentlich statt und dauert ca. 24 – 80 Sitzungen. Zwischen den Sitzungen werden oft Hausaufgaben gegeben, um neue Verhaltensweisen und Fähigkeiten zu üben und zu verfestigen.

Systemische Therapie

Die Systemische Therapie (ST) ist seit 1. Juli 2020 als ein weiteres Richtlinienverfahren anerkannt worden. D.h. auch diese hat sich als wirksam erwiesen.

Die Grundhaltung der Systemiker:innen ist „eine gestörte Psyche ist Ausdruck eines gestörten Systems“. Zu unserem System gehören in erster Linie unsere Familienmitglieder, aber auch andere Personen und Institutionen, wie z.B. unsere Kolleg:innen und der Arbeitsplatz. Jede:r einzelne von uns stellt mit seinen verschiedenen Anteilen in sich selbst ebenfalls ein System dar. Die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen wird also immer in einem Kontext von Beziehungsprozessen gesehen und soll auch in diesem aufgelöst werden. Dabei müssen am System beteiligte Personen nicht unbedingt anwesend sein. Wir können uns das wie ein Mobilé vorstellen. Wenn wir eine Figur antippen verändert sich die Position der anderen Figuren ebenfalls.

Bei der Behandlung von Angsterkrankungen wird die Angst als ein Teil des Systems angesehen. Die Angst ist zugleich ein Anzeiger dafür, dass etwas in Schieflage geraten ist und gleichzeitig ein Lösungsversuch, um alles wieder ins Lot zu bringen. Diese Funktion der Angst gilt es erst einmal zu würdigen und dann gemeinsam einen alternativen Lösungsversuch zu erarbeiten. Die Therapeut:in gibt dabei immer wieder Impulse, um das System zu „verstören“. Also eine Figur des Mobilés anzutippen, damit sich im ganzen System etwas verändert. Um systemische Strukturen anschaulicher und erlebbar zu machen, wird dazu auch viel im Raum gearbeitet. So stellen wir uns z.B. dann in einer Beziehung zur Angst oder einer anderen Person aus unserem System auf, verändern diese Positionen und spüren, was es mit uns macht. Systemiker:innen stellen auch viele Fragen in der wir die Sichtweise anderer auf uns selbst einnehmen. Z.B. „Woran würde Ihre Partner:in erkennen, dass die Angst weniger geworden ist?“.

Die Systemische Therapie geht davon aus, dass während der Behandlungsstunden lediglich ein Anstoß zur Veränderung gegeben wird, die letztliche Veränderung jedoch im Alltag innerhalb unseres Systems stattfindet. Deshalb sind die Abstände zwischen den Sitzungen auch länger und unregelmäßiger. Das richtet sich dann ganz nach unserem Bedarf. ST ist als Kurzzeittherapie mit 12 bis 48 Sitzungen angedacht.

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